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07 Aprile 2012

Was ist Bewusstsein ?

Was ist Bewusstsein ?

Das Interesse für die Studien zum Bewusstsein nimmt seit etwa 20 Jahren exponentiell zu. Es gibt immer mehr Veröffentlichungen und Tagungen zu diesem Thema, das die letzte Grenze der Forschung zu sein scheint.
Wir wollen die heutige Situation hier näher untersuchen.
Heute ist die o. g. Forschung der Wissenschaft anvertraut, und es gibt keine andere Domäne menschlicher Erfahrung, die zum Studium des Bewusstseins für geeignet gehalten wird.

Die Philosophie hat sich abgewendet und nur die Philosophen, die die neurowissenschaftlichen Argumente akzeptiert haben, finden noch Gehör (Dennett, Searle, Thompson...).
Aber ist das Bewusstsein ein Gebiet, das ausschließlich oder wenigstens hauptsächlich in den Zuständigkeitsbereich der Wissenschaften fällt ?
Nein, aus wenigstens zwei Gründen.
Die Wissenschaft untersteht dem Postulat der Objektivität und der Methode des vom beobachteten Ereignis distanzierten, nicht von ihm betroffenen Beobachters. Das Postulat der Objektivität verlangt, dass wir als distanzierte Beobachter Daten von einer externen Welt empfangen, sie speichern und mit logischer Strenge verarbeiten. Es gilt somit ein eisernes Prinzip der Transitivität, d h. ich - beobachte und beschreibe - etwas (Subjekt, Prädikat, Objekt), und der Beobachter darf in das Beobachtete nicht einbezogen sein.
Das Bewusstsein ist also Subjekt von Wissen.

„Subjekt: Syntaktische Grundeinheit, die die Person oder die Sache angibt, die eine durch das Prädikat ausgedrückte Handlung ausführt oder erfährt und mit diesem eine untrennbare und selbständige Verbindung eingeht.“

Dass dies wahr ist, weise ich damit nach, wenn ich bezweifle, dass es wahr ist. Ich, Subjekt, gehe somit mit dem Zweifel eine untrennbare und selbständige Verbindung ein: Das zweifelnde Subjekt.
Genau so verhält es sich mit einem Beobachter. Aber wenn der Beobachter auf das Beobachtete blickt, so ist er selbst, da er ja beobachtet, nicht beobachtbar. Daher ist leicht einsehbar, dass die Grenze der kanonischen wissenschaftlichen Annäherung an das Bewusstsein die Transitivität des Bewusstseinprozesses ist: Ich beobachte die Welt, kritisiere die gesammelten Daten und formuliere Antworten.

Der Beobachter als solcher gehört definitionsgemäß nicht zum Beobachteten, sofern er nicht aufhört, Beobachter zu sein und zum Beobachteten wird, und sich so jedoch seiner eigenen Natur des Beobachters entfremdet.
Die Wissenschaft nimmt zudem ein zweites Postulat an, und zwar das der Homogenität zwischen Subjekt und Objekt: dass das, was für das Objekt gilt, auch für das Subjekt gilt. D. h. das Subjekt (das Bewusstsein) wäre nichts anderes als ein Objekt unter vielen, das "Subjekt" genannt wird.

Man vergisst so die unüberwindbare und unbeugsame Offenheit des Blicks auf die Welt, ein Blick, den man nur besuchen kann, wenn man mit ihm übereinstimmt, und den man nur kennen kann, wenn man selbst der Blick ist. Und dies ist in der Meditation erfahrbar, nicht in der Transitivität der objektiven Beobachtung, wo Subjekt und Objekt im Sieg der Objektivität durcheinander geraten.

Aber was ist Bewusstsein ? Was macht das Bewusstsein ? Vor allem fragt es hiernach. Dann unterscheidet es, zieht Folgerungen, erinnert, urteilt, macht Prognosen…
Dies sind Fähigkeiten des Bewusstseins. Es fehlt aber etwas: es weiß, zu sein, und das ist die wahre Scheidelinie zwischen Wissenschaft und Bewusstsein.
Sein gehört nicht in den Zuständigkeitsbereich der Wissenschaft, da es nichts Spezifisches ist, sondern alles betrifft, und es ist nicht berechenbar. Sartre schrieb in Der Ekel dass man die Existenz nicht ableiten, sondern nur antreffen könne.


Das Wissen um das Sein ist die grundlegendste Fähigkeit des Bewusstseins. Ich wage zu behaupten: Es ist das Bewusstsein.
Welche Algorithmen müssten wir verarbeiten, um das Sein zu berechnen?
Mit Sicherheit sind Unterscheidungsvermögen, Schlussfolgerungen ziehen, Erinnerung, Urteilsvermögen und Prognosen Funktionen, die wir hoffen können, eines Tages auf verblüffende Weise in einer Maschine verwirklicht zu sehen, aber nicht das Wissen um das Sein, aus dem einfachen Grund, dass es nicht möglich ist, Rechenoperationen zu verarbeiten, die es als Ergebnis haben.
Die Wissenschaft kann es sich erlauben, sich nicht mit dem Sein zu befassen, ihr genügt es, sich auf die Funktionen erfassen, unterscheiden, folgern, erinnern, darstellen, beurteilen, Prognosen machen, Szenarien eröffnen zu beschränken...

Aber was bedeutet es, dass etwas ist?
Es bedeutet, dass es nicht fehlt. Was bedeutet es, dass Bewusstsein ist? Es bedeutet, dass das Bewusstsein um sein Nicht-Nichtsein, sein Nicht-Fehlen weiß; es weiß, zu sein. Es zu verneinen, oder auch nur daran zweifeln, wäre dagegen ein Beweis dafür, da Zweifeln oder Verneinen Handlungen sind, die aus dem Bewusstsein entstehen, das daher existiert anstatt nicht zu existieren.
Das Bewusstsein weiß, dass es ist und um das Sein des Ganzen.
Sein, d. h. die Tatsache zu sein, findet seine zutreffendste Bedeutung als „das schlechthin Andere – gegenüber dem Nichts“.


Sein und Nichts sind keine bloßen Begriffe, da die Begriffe sind anstatt nicht zu sein. Dies verstehen wir. Es gibt Verständnis anstatt des Nichts. Wenn wir es nicht verstehen: kein Verständnis anstatt Verständnis. Sein und Nichts sind keine bloßen Begriffe, wenn sich auch ihre Bedeutung durch das Begriffliche ausdrückt.
Und wenn das Universum das Ganze ist, ist das Fehlen eines zweiten Universums kein Begriff: es gibt es einfach nicht, es gibt davon nichts.
Daraus folgt: Warum gibt es das Universum anstatt des Nichts?

Hier muss die geniale Intuition von Heidegger bezüglich der ontologischen Differenz  zwischen Sein und Seiendem eingeführt werden.


Seiend ist jedes Ding, das ist, und im Sinne des seienden Ganzen wird es in seinem Sein, d.h. in der Tatsache zu sein erfasst, die durch das Verb “sein” ausgedrückt wird: Die Wahrheit über das Ganze ist, “dass es ist”.
Wissen, dass das was ist, ist! scheint eine Banalität zu sein, während es eine erschütternde Wahrheit ist.
In den Worten Heideggers in Wesentliche Fragen der Philosophie: “... die reine Nüchternheit des Denkens ist im Grunde nur das strengste Ansichhalten der höchsten Stimmung, jener nämlich, die sich geöffnet hat dem einen einzigen Ungeheuren: dass Seiendes ist und nicht vielmehr nicht ist.”

Dass das Bewusstsein ob dieser Bewusstheit zusammenfährt, scheint mir sein Hauptziel zu sein.
Das Bewusstsein allein auf die geistigen Funktionen wie erfassen, speichern und darstellen zu reduzieren, leidet unter den Grenzen von denen, die ihr Bewusstsein nur dazu für fähig halten. Ich verstehe, wenn auch mit Not, die Wissenschaftler aufgrund ihrer professionellen Veranlagung, aber sehr viel weniger die Philosophen. Oder, so traurig es auch ist, die Philosophie ist einfach am Ende angelangt und der Domäne des Objektes, der Funktion und des Gebrauchs überlassen worden.

Die wahre Unterscheidung in der Untersuchung des Bewusstseins liegt im Unterschied zwischen dem, der den tiefen Sinn begreift, sich des Seins bewusst zu sein, und dem, der ihn nicht begreift. Die Menschheit teilt sich in der Tat in zwei Lager: diejenigen, die um das Ungeheure des Seins wissen, und diejenigen, die nicht darum wissen, und die daraus folgenden Untersuchungsrichtungen gehen völlig verschiedene Wege; was den einen als Antwort gilt, für die Sein jene bestimmte Bedeutung hat, gilt den anderen nicht als Antwort und umgekehrt.
Der Turing-Test[1] muss durch folgende Erfordernis ergänzt werden: dass die Antworten, um den menschlichen gleichsetzbar zu sein, auch Lösungen von koan einbeziehen; ansonsten werden wir uns, anstatt akzeptieren zu müssen, dass der Rechner sich auf menschliches Niveau erhoben hat, mit dem Gegenteil abfinden müssen: dass das Niveau des Menschen auf das Wenige gesunken ist, dessen eine Maschine fähig ist.
“Alle kennen den Klang von zwei klatschenden Händen. Welches ist der Klang einer einzigen Hand?”, heißt es in einem berühmten koan von Hakuin (1686-1769).
Wenn man sicherlich kausal den Klang erklären kann, den zwei klatschende Hände erzeugen, wie lautet dann die Antwort auf die Frage nach dem Klang nur einer Hand, dem Klang des Geheimnisses seiner Existenz? Man erfährt sie sicher nicht mit der Logik, und Merkmal und Wesen der Wissenschaft ist es, logisch vorzugehen.
Es gehört sicher in den Zuständigkeitsbereich der Wissenschaft, bestimmte geistige Funktionen und bestimmte Bewusstseinszustände (Wachsein, Schlaf, Halluzinationen, Pathologien usw...) zu untersuchen; es gehört zu ihren transitiven und objektiven Besonderheiten und hat positive Rückwirkungen auf die Medizin und die Instrumente, die uns das Leben erleichtern. Doch damit streift sie nicht einmal das Wesentliche des Bewusstseins dessen, der diese Forschung durchführt: dass dieses zu dem Geheimnis erwachen kann, schrecklichen und faszinierenden zugleich, dass es ist.

Auszug aus dem Artikel "Was ist Bewusstsein?" von Franco Bertossa, erschienen in der Zeitschrift „Antiche e moderne vie d'illuminazione“, Nr. 27
Dezember 2006


Fussnote:

1] Der Turing-Test geht von einem Spiel mit drei Teilnehmern aus, das als Imitationsspiel bekannt ist: ein Mann A, eine Frau B und eine dritte Person C. Letztere ist von den anderen beiden räumlich getrennt und muss mit Hilfe einer Reihe von Fragen festlegen, wer der Mann und wer die Frau ist. Auch A und B haben Aufgaben: A muss C täuschen und ihn zu einer falschen Identifikation veranlassen, während B ihm dabei helfen muss.
Damit C über keinen Anhaltspunkt verfügt (wie die Analyse der Handschrift oder der Stimme), müssen die Antworten auf die Fragen von C maschinengeschrieben oder auf ähnliche Art übertragen werden.
Der Turing-Test stützt sich auf die Voraussetzung, dass A durch eine Maschine ersetzt wird. In diesem Fall, wenn C nichts merkt, müsste die Maschine als intelligent anerkannt werden, da sie -
in dieser Situation – von einem menschlichen Wesen nicht unterscheidbar wäre.

Übersetzung aus dem Italienischen: Birgit Galetzka


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